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Wie funktionieren eigentlich Nebensätze im Türkischen? (Teil 3: -mesi)

Im vorhergehenden Teil haben wir uns mit Nebensätzen unter Verwendung von -diği/eceği beschäftigt, jetzt soll es um solche mit dem Suffix -mesi gehen, die ebenfalls in vielen Fällen deutschen dass-Sätzen entsprechen und sogar in Konkurrenz zu denen aus Teil 2 treten können.

Wenden wir uns wieder zuerst der Grundform zu, zunächst ohne Possessivsuffix. Hängt man an einen Verbstamm das Suffix –me (oder natürlich –ma) an, entsteht ein Substantiv, ein sogenannter Kurzinfinitiv (kurz, weil es sich nicht um den Vollinfinitiv handelt, der bekanntermaßen mit –mek gebildet wird).

Betrachten wir das aus git- und -me gebildete gitme: Pur bedeutet es so viel wie „das Gehen“.

Interessant bzw. nebensatzgefährlich wird es aber auch hier erst, wenn man ein Possessivsuffix anhängt; bei dem der dritten Person haben wir dann gitmesi: „sein Gehen“ oder — bei der ersten Person — gitmem „mein Gehen“.

Bauen wir nun eine simple Entsprechung eines deutschen Nebensatzes:

Gitmem gerek: Direkt übersetzt heißt das „Mein-Gehen ist notwendig.“ In richtigem Deutsch: „Es ist notwendig, dass ich gehe“ oder frei übersetzt: „Ich muss weg!“

Hängen wir nun noch ein Akkusativsuffix an, bekommen wir bspw. gitmemi (oder bei Possessivsuffix der dritten Person gitmesini) und das kann nun Objekt einer anderen Handlung bzw. eines anderen Verbs werden, wodurch erst die interessanten Nebensätze entstehen:

Gitmemi istiyor. Mein-gehen er will“ könnte eine erklärende Übersetzung lauten (manchmal glaube ich, Yoda war Türke). In ordentlichem Deutsch: „Er will, dass ich gehe.“ Ebenso natürlich gitmesini istiyor: „Er will, dass sie (oder er/es) geht.“

Natürlich kann auch hier, wie bei dem Suffix im zweiten Teil, wieder über eine Genitiv-Possessivsuffix-Kombination die handelnde Person des Nebensatzes angegeben werden:

Gülcan annemin gitmesini istiyor: „Gülcan meiner Mutter Ihr-Gehen (das Gehen meiner Mutter) will“ bzw. in richtigem Deutsch: „Gülcan will, dass meine Mutter geht“.

Eine Zeitangabe enthält diese Form übrigens nicht. Sie kann auch nicht — und auch deshalb fällt dieser Artikel kürzer aus als der vorherige — als Adjektiv gebraucht werden.

Was aber ist mit dieser Konkurrenz zu den -diği/eceği-Formen? Wie wir schon gesehen haben, werden die -mesi-Formen hauptsächlich in Fällen des Wünschens, Wollens und der Notwendigkeit gebraucht. Es geht also nicht um konkrete, individuelle Tatsachen (wie bei -diği/eceği), über deren Wahrnehmung man eine Aussage macht, sondern vielmehr um allgemeine Handlungen, die zum Beispiel immer wieder ausgeführt werden oder nur im Bereich des Möglichen (insbesondere des Erwünschten oder Unerwünschten) liegen. Das sieht man auch gut an Annem doktora gitmemi söylüyor: „Mutter sagt Mein-Gehen zum Doktor“. Das heißt nun nicht, wie man nach der Lektüre meiner Artikel bisher erwarten könnte „Meine Mutter sagt, dass ich zum Doktor gehe“, sondern „Meine Mutter sagt, dass ich zum Doktor gehen soll“. Daran sieht man, wie stark –mesi in Richtung Wünschen/Wollen gebogen ist. Mehr zu dem Thema der Konkurrenz zwischen den beiden Formen gibt es allgemeiner hier und praktischer hier. Ich kann aber schon sagen, dass man dafür meines Erachtens nicht so leicht ein treffsicheres Gespür entwickelt. Es hilft vielleicht noch, einige von den Verben auswendig zu lernen, die nur mit -mesi und nie mit -diği/eceği funktionieren (ganz prominent: istemek) oder umgekehrt. Es gibt aber auch welche, die prinzipiell mit beiden gehen und je nach Kontext das eine oder andere verlangen. Hier hilft nur üben, üben, üben und dadurch ein Gefühl dafür entwickeln, das dem des Muttersprachlers möglichst nahe kommt.

Interessant ist vielleicht auch noch, dass aus vielen dieser Kurzinfinitive auch feststehende Substantive geworden sind. Ein gutes Beispiel ist konuşma: eigentlich: „das Reden“. Allerdings heißt es auch „Vortrag, Rede, Gespräch“.

Hier geht es weiter zu Teil 4.

Bitte kommentiert, wenn ihr Fragen zu dem Thema habt! So kann ich auch meinen Artikel verbessern.

10 Kommentare zu “Wie funktionieren eigentlich Nebensätze im Türkischen? (Teil 3: -mesi)

  1. Dieselben Probleme hatte ich auch mit dem Auseinanderhalten der
    -en und -digi Suffixe. Deine Zusammenstelung dazu ist sehr ausführlich
    und berücksichtigt eigentlich alles dazu: sehr gut !
    Als weitere Lernhilfe zu dem Thema kann man sich im Internet unter dem Stichwort fiilimsiler bzw. eylemsiler raussuchen, was türkische Grammatiker dazu sagen oder sich dazu kostenfreie Lernvideos in Türkisch auf youtube ansehen. Letztere sind gleichzeitig eine gute Hör- und Verständnisübung im Türkischen.
    Was Nebensätze noch besonders „lecker“ macht ist die Wortstellung
    mehrerer dieser Suffixe in einem Gesamtsatz.
    Mit dem Thema Wortstellung merherer Suffixe in Nebensätzen bin ich noch nicht abschließend fertig, kann man dazu hier einen neuen Artikel eröffnen ?
    Und als weitere Anregung:
    vielleicht kann man hier nach und nach eine Wortliste zusammenstellen, welche
    häufig benutzte Verben im Hauptsatz das Suffix -digi im Nebensatz verlangen und welche Verben im Hauptsatz den Kurzinfinitiv auf -me im Nebensatz verlangen…..

    • Erstmal danke für’s Lesen.

      Eine solche Zusammenstellung von Verben, die entweder diği oder eceği verlangen, wäre keine schlechte Idee. Ich habe das deshalb nicht gemacht, weil ich das Buch von Frau Ersen-Rasch nicht einfach abschreiben wollte und ihre Liste schon recht erschöpfend ist.

      Was das mit der Satzstellung angeht: Kannst du da mal ein Beispiel bringen, damit ich weiß, was du meinst?

      • Welche Grammatik von Ersen-Rasch meinst Du ?
        Sie hat in den letzten 1-2 Jahren mehrere Türkisch-Grammatiken verfaßt. In ihrer Grammatik „Türkische Grammatik ausführlich und verständlich Lernstufen A1 – C2“ aus dem Jahr 2012 finde ich keine größere Zusammenstellung von Verben, die entweder -diği oder -me im Nebensatz verlangen, sondern auf 1 Seite zu dem Thema eine Erklärung und Beispielsätze mit einigen Verben (istemek, bulmak, gelmek söylemek, dövülmek içmek und geçmek).

        Zum Beispielsatz für einen Gesamtsatz, der Nebensätze mit mehreren unterschiedlichen Suffixtypen umfaßt:
        Bence bu endişelerle halleşmenin yolu, eğitim sistemimizin bize aşıladığı, her tarafın düşmanla çevrili olduğunu varsayan düşünce kalıpların dışına çıkabilmektir.
        1. dik Suffix als Adjektiv = aşıladığı
        2.dik Suffix als Substantiv = olduğunu
        3.en Suffix als Adjektiv = varsayan

        • Ich meine das Buch „Türkisch für Fortgeschrittene“ von ihr. Da steht es in Kap. 22 auf S. 191. Ist jetzt aber auch keine ewig lange Liste. In dem Buch sind ohnehin einige echt gute Praxistipps, bspw. wird auch die Konkurrenz zwischen -erdi und -ecekti thematisiert, wenn auch nicht befriedigend. Sollte ich jemals auf eine gute Faustregel treffen, schreibe ich einen Artikel (angefangen habe ich damit schon).

          Um eine eigene Liste mit Verben zu erstellen, die den Gebrauch von entweder -mesi oder -diği erzwingen oder zumindest zu einer Variante tendieren, reichen mein Sprachgefühl bzw. meine Kenntnisse nicht aus. Muttersprachler fragen bringt wahrscheinlich nicht viel. Mit so spezifischen Grammatikfragen habe ich nie gute Ergebnisse bekommen.

          Der Beispielsatz ist schön, ich musste zur Übersetzung noch çevrili nachschauen. Zu solchen Sätzen könnte man natürlich einen Artikel schreiben, um denen, die gerade die Grundlagen verstanden haben, einen Schnellstart in die fieseren Dinger zu geben. So etwas ähnliches habe ich in klein schon mit dem Artikel „Schmankerl für Freunde des gepflegten Nebensatzes“ gemacht, wo ich eine Kombination von Verbaladjektiven und -nomina vorstelle, die meine Ganglien schön gekitzelt hat.

      • Es gibt inzwischen eine Dissertation zu diesem sehr komplexen Thema.

        Coşkun, Hatice (2012). Komplementsätze im Türkischen. İstanbul: Litera Yayıncılık.

        • Erst einmal möchte ich mich für die wundervollen Bücher bedanken, die Sie geschrieben haben. Fast alles, was ich über fortgeschrittene Themen im Türkischen weiß, habe ich aus ihnen.

          Dann natürlich noch einmal Danke für den Hinweis auf die Dissertation. Gibt es auch etwas ähnliches zu der Konkurrenz zwischen -erdi und -ecekti?

      • Ich kenne bislang nichts, was sich ausführlich mit -ecekti und -irdi beschäftigt.

        Angeschnitten wird es auf den Seiten 261-263 in

        Johanson, Lars (1994). Türkeitürkische Aspektotempora. In: Thieroff, Rolf & Ballweg, Joachim [Hg.]. Tense Systems in European Languages. LA 308. S. 247–266.
        (www.turkiclanguages.com/www/Johanson1994.pdf)

  2. Eine kurze Übersicht:
    Folgende Arten von Verben werden mit -mESİ gebildet – alles andere* mit -DİĞİ/-(y)EcEĞİ

    1) Bewertung, Urteil:
    Çok acele haberleşmemiz gerekiyordu. Ali’nin telefon etmesi iyi oldu. Çünkü bizim buradan onu aramamız çok zor.

    2) Wunsch:
    Ne yapmamı istiyorsun?

    3) Erwartung, Vorwegnahme
    Vatandaş daireden işinin çabuk görülmesini bekliyor. Yeni plan da alt birimlerin bağımsız karar vermesini öngörüyor.

    4) Benennung, Gleichsetzung
    Havadaki su buharının yoğunlaşarak düşmesine yağmur denir. Kar ise suyun gökten yere donmuş parçacıklar halinde dökülmesidir.

    NB: Es gibt Verben, die mehrere Bedeutungen haben und je nachdem mit -mESİ oder
    -DİĞİ/-(y)EcEĞİ gebildet werden, z.B.:

    söylemek = sagen
    Bana senin bu işten anladığını söylediler.

    söylemek = anordnen, bestellen
    Patrona hemen bizim masaya gelmesini söyle! Garsona da bize birer çorba getirmesini söyle!

    *Alles andere: Schwerer in Kategorien zu fassen, vor allem mitteilende, feststellende Verben.

    PS: Das Glossar des verflossenen „Langenscheidts Praktisches Lehrbuch Türkisch“ (Ausgabe 1997 von T. Turan) enthält zu jedem Verb den entsprechenden Hinweis auf die Art der Nebensatzbildung.

  3. Auch von mir vielen Dank für den Kommentar, Der Kurzinfinitiv steht auch noch vor Verben des Befehlens oder Verbietens wie zum Beispiel yasaklamak, gerekmek, emretmek…In der Bibliothek vor Ort steht das (vom Verlag nicht mehr angebotene) Lehrbuch von Tevfik Turan aber leider ohne den Schlüssel. Schade, sonst hätte ich mir aus dem Schlüssel gängige Verben mit /ohne Kurzinfinitiv herausgeschrieben.

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